Der Haushaltgerätehersteller V-Zug hat in Sulgen eine neue Fabrik in Betrieb genommen. Er glaubt, mit Schweizer Qualität weltweit bei Konsumenten zu punkten. Doch Konkurrenten wie Liebherr und BSH erreichen viel höhere Stückzahlen.
Dominik Feldges (Text), Karin Hofer (Bilder), Sulgen
In der Luft liegt der Geruch von Gülle, doch im thurgauischen Sulgen wird nicht nur Landwirtschaft betrieben. Rund um den kleinen Bahnhof der 4000-Seelen-Gemeinde produziert die Hochdorf-Gruppe in einem grossen Werk Milchpulver für Babys, die Firma Belimed – unter dem Motto «mit Dampf gegen Keime und Viren» – Geräte zur Sterilisierung von Operationsbesteck und ihre ehemalige Schwestergesellschaft V-Zug Kühlschränke. Alle drei Unternehmen bedienen den Weltmarkt und unterstreichen, wie international ausgerichtet die Schweizer Industrie selbst in eher peripher gelegenen Regionen ist.
Lieber etwas dick auftragen
Während Belimed noch immer eine hundertprozentige Tochter der Metall-Zug-Gruppe ist, wurde der Haushaltgerätehersteller V-Zug Mitte 2020 via einen separaten Börsengang in die Unabhängigkeit entlassen. Anders als Belimed ist er erst seit kurzem im Dorf Sulgen ansässig, das nicht ganz auf halbem Weg zwischen Weinfelden und Romanshorn liegt. Die Fabrik ist so neu, dass es im Treppenhaus nach frischer Farbe riecht. An der Aussenfassade verkündet ein riesiges Plakat: «Ein Schweizer Kühlschrankwerk auf Vormarsch – hier wird Innovation und Perfektion grossgeschrieben.»
Wer in der Schweiz noch Kühlschränke herstellen will, muss wohl etwas dick auftragen. Die Fertigung solcher Produkte beherrschen nämlich viele Unternehmen, in Deutschland, Österreich und in Italien ebenso wie in der Türkei oder im Fernen Osten.
Hohe Transportkosten belasten
Europäische Anbieter, zu denen neben der ziemlich kleinen Firma V-Zug auch die Bosch-Gruppe (via BSH-Hausgeräte), Liebherr und Electrolux zählen, geniessen bei der Bedienung ihrer einheimischen Kundschaft einen gewissen Distanzschutz. Kühlschränke sind derart voluminös, dass sich der Transport über grosse Distanzen kaum lohnt.
Die europäische Normgrösse für Einbaukühlschränke liegt bei 178 Zentimetern in der Höhe und 60 Zentimetern in der Breite. Damit passen die je rund 30 Kilogramm schweren Produkte nur beschränkt in Schiffscontainer. Ab 160 Stück werde es eng, sagt Adrian Theiler, der Chief Operations Officer (COO) von V-Zug. Hinzu komme, dass sich die Preise für die Beförderung von Containern seit dem Ausbruch der Pandemie enorm verteuert hätten. Noch vor gut zwei Jahren seien auf Routen zwischen Europa und China ungefähr 4000 Franken verrechnet worden. Inzwischen koste ein solcher Container 25000 bis 30000 Franken.
Doch auch innerhalb von Europa sieht sich V-Zug starker Konkurrenz ausgesetzt. Wettbewerber wie Liebherr und BSH operieren mit ganz anderen Stückzahlen und stellen in einem einzelnen Werk gut und gerne 500000 Kühlschränke pro Jahr her. Bei V-Zug waren es 2021 – noch in der alten Fabrik in Arbon – knapp 86000.
Umzug von Arbon
Lange Zeit produzierte die Firma, die unter anderem auch Waschmaschinen, Geschirrspüler und Backöfen im Angebot hat, selbst gar keine Kühlschränke. Sie bezog solche Geräte stattdessen von Drittunternehmen in Norditalien oder von Forster Kühltechnik. Doch 2013 entschloss man sich, von der damaligen AFG (heute Arbonia) die Firma Forster Kühltechnik mitsamt ihrer Kühlschrankfabrik in Arbon zu erwerben.
«Wir müssen ein Vollsortimenter mit eigenen Produkten sein», sagt der Konzernchef von V-Zug, Peter Spirig. Investoren, die grosse Überbauungen im In- und Ausland planten, seien daran interessiert, bei der Ausstattung der Küchen möglichst alles aus einer Hand zu erhalten. «Für Spezialisten gibt es immer weniger Platz.»
Mit der Arboner Fabrik gelangte V-Zug in den Besitz von Betriebsmitteln sowie viel Know-how der übernommenen Mitarbeiter (nur das Gebäude wurde im Rahmen eines Zehnjahresvertrags weiterhin von Arbonia gemietet). Allerdings war das Werk längst nicht mehr auf dem neusten Stand. Die Fertigung der Kühlschränke verteilte sich in einem mehrgeschossigen Gebäude, das aus den 1950er Jahren stammt, über verschiedene Räume. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, hatte V-Zug keine andere Wahl, als den Betrieb von Grund auf neu zu konzipieren.
Eine federführende Rolle spielte in diesem Prozess Theiler, der als COO die Hauptverantwortung für die Optimierung von Betriebsabläufen bei V-Zug trägt. Er rechnet vor, dass am neuen Standort in Sulgen, der bis Ende Februar 2022 vollständig bezogen wurde, die Arbeitskosten nur noch 13 Prozent des gesamten Produktionsaufwands für einen Kühlschrank ausmachen. In absoluten Zahlen beschränkt sich der Personalaufwand auf wenige Dutzend Franken – dies bei einem Endpreis von rund 1500 Franken, wie er für die eher hochpreisigen Kühlschränke von V-Zug typisch ist.
Hoch automatisierte Fabrikation
Fast zwei Drittel der Herstellkosten entfallen laut Theiler auf Materialien und weitere 19 Prozent auf die Anschaffung und den Betrieb von Maschinen. Dabei handle es sich um Posten, für die überall dieselben Preise gelten würden. Dank zusätzlichen Schritten in der Automatisierung werde man den Personalkostenanteil auf bis zu 10 Prozent drücken können, so ist der Manager überzeugt. Und auf diesem Niveau spiele es definitiv keine Rolle mehr, an welchem Standort sich eine Fabrik für Kühlschränke befinde.
In der rund 150 Meter langen Fabrikationshalle sind schon heute nur noch wenige Menschen zu sehen – und umso mehr vollautomatische Produktionsanlagen sowie führerlose Transportsysteme. Um pro Jahr gut 80000 Kühlschränke herzustellen, reichen V-Zug in Sulgen rund 150 Produktionsmitarbeiter und ein gutes Dutzend Hilfskräfte mit Behinderungen für ergänzende Tätigkeiten (die Beschäftigung Behinderter hat bei V-Zug auch am Zuger Stammsitz Tradition). Dazu gesellen sich 15 Beschäftigte in der Entwicklungsabteilung, die ihre Büros ebenfalls im Werk haben.
Der Frauenanteil am Personal liegt bei ungefähr einem Viertel, was für einen Betrieb aus der Maschinenbau-, Elektro- und Metallbranche ein vergleichsweise hoher Wert ist. Anders als in der ehemaligen Fabrik in Arbon müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dank einer Reihe von Hilfsmitteln wie beweglichen Tischen keinerlei Lasten mehr heben. «Wir sind eine Zero-Gravity-Factory», sagt der Werkleiter Patrik Rechsteiner. Zero Gravity bedeutet auf Deutsch Schwerelosigkeit.
Ein fertiger Kühlschrank pro Minute
Wie die meisten Beschäftigten war der junge Ostschweizer, der stolz einen silbernen Pin mit dem Firmenlogo am Revers seines Sakkos trägt, bereits am alten, rund 15 Autominuten entfernten Standort in Arbon tätig. Laut dem Konzernchef Spirig machten weniger als 20 Prozent den Umzug nicht mit. Er äussert sich erleichtert über die hohe Beteiligung: «Je stärker ein Industriebetrieb automatisiert ist, desto mehr Spezialwissen wird aufseiten der verbleibenden Mitarbeiter für die Bedienung und Wartung der Anlagen benötigt. Muss man es neu aufbauen, braucht das viel Zeit.»
Die gesamte Produktion bei V-Zug in Sulgen ist darauf ausgelegt, dass jede Minute ein fertig produzierter und – während 45 bis 60 Minuten auf die volle Funktionstüchtigkeit – getesteter Kühlschrank in die Verpackerei gelangt. Nach dieser Zielgrösse haben sich alle Mitarbeiter zu richten. Zurzeit läuft das Werk lediglich im Einschichtbetrieb. Dies werde sicher noch einige Jahre so bleiben, sagt der Werkleiter Rechsteiner. Um die geplanten zusätzlichen gut 10000 Kühlschränke zu erreichen und damit auf eine Stückzahl von 100000 pro Jahr zu kommen, könnten bei Bedarf Schichten am Samstag sowie Überstunden von der bestehenden Belegschaft eingefordert werden.
Später würde die Unternehmensführung, so wird im Gespräch klar, aber gerne auf zwei Schichten pro Tag übergehen. «Es gibt noch viel Luft nach oben», sagt der CEO Spirig. V-Zug hat in Sulgen nicht ohne Grund rund 70 Millionen Franken investiert. Das Unternehmen scheint fest entschlossen zu sein, seinen Kunden auf lange Sicht Kühlschränke made in Switzerland zu offerieren.
In Russland unter Embargo
In der Schweiz werden jährlich rund 320000 Kühlschränke verkauft. Damit bieten sich V-Zug im Heimmarkt zusätzliche Absatzchancen, obschon das Unternehmen seine gesamten Haushaltgeräte schon heute grossmehrheitlich hierzulande absetzt.
Im Export versucht das Unternehmen seit mehreren Jahren überdurchschnittlich zu wachsen. Erste Erfolge haben sich in Märkten wie Deutschland, den Benelux-Staaten, Australien und China eingestellt, doch gibt es immer wieder auch Rückschläge. So darf V-Zug neuerdings keine Produkte mehr nach Russland ausführen. Hintergrund dafür ist, dass die Schweiz auch Haushaltgeräte, die für diesen Markt bestimmt sind und mehr als 750 Franken kosten, unter Embargo gestellt hat.
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