Sparta (2022) von Ulrich Seidl - Kritik | Cinema Austriaco (2024)

This post is also available in: Italiano (Italienisch) English (Englisch)

von Ulrich Seidl

Note: 8

Eine starke innere Kampf ist der eigentliche Kern von Sparta. Ewald lacht, wenn er mit Kindern spielt. Langsam aber sicher verwandelt sich sein Lachen in Weinen. Ein Schrei, den niemand bemerkt, der nur im Auto oder im Altersheim, wo sein Vater ist, zum Ausdruck kommt. Subtile Details, die mehr sagen als tausend Worte. Ulrich Seidl (und der exzellente Georg Friedrich) geben all dies perfekt wieder und zeigen uns, wie der Protagonist in Wirklichkeit das einzige wirkliche Opfer seiner eigenen Schwächen ist. Auf der Viennale 2022.

„Piccolo fratello“

Wir alle sind Opfer und Täter zugleich. Ein Konzept, das Ulrich Seidl in seinen Filmen immer wieder aufgreift, indem er uns vielschichtige, ambivalente Figuren präsentiert, die von tiefen Innenkämpfen gequält werden. Und genau dieser starke Konflikt, diese scharfe Gegenüberstellung zwischen dem, was draußen passiert, und dem, was jeder Protagonist in seinem Inneren erlebt, wird jedes Mal auf ganz subtile und vielschichtige Weise in Bildern erzählt, durch eine Inszenierung, die jedes Mal durch ihre tadellose Meisterschaft besticht. Das gilt auch für Sparta, den wohl umstrittensten Film des Wiener Regisseurs. Aufgrund der Themen, die er behandelt, und vor allem aufgrund unzutreffender Informationen, die am Vorabend der Weltpremiere auf dem Toronto Film Festival 2022 veröffentlicht wurden, lief Sparta Gefahr, auf keinem Filmfestival gezeigt zu werden.

Glücklicherweise war dies nicht der Fall. Und tatsächlich wurde der Film eine Woche später auf dem San Sebastian Film Festival uraufgeführt, wo er von Publikum und Kritikern gut aufgenommen wurde, und anschließend auf der Viennale 2022 präsentiert. Die Entscheidung, die beide Festivals getroffen haben, ist zweifelsohne sehr mutig und intelligent. Ja, denn abgesehen von der zweifellosen künstlerischen Qualität des Films verstehen wir nach der Vorführung, dass Sparta untrennbar mit Rimini verbunden ist, der bereits auf der Berlinale 2022 seine Weltpremiere hatte und der erste Teil dieses Diptychons über zwei Brüder ist.

Wurde uns in Riminidie Geschichte von Richie Bravo (gespielt von Michael Thomas) erzählt, der in Italien lebt, wo er einst ein erfolgreicher Sänger war, und sich heute in einer finanziellen Notlage befindet, lernen wir in Sparta Ewald (ein außergewöhnlicher Georg Friedrich) besser kennen, der jüngere Bruder – „piccolo fratello“, wie Richie ihn in Rimini nennt -, der längst nach Rumänien gezogen ist, wo er einen Job und eine Freundin hat, sich aber bald mit einigen Problemen seiner Vergangenheit und seinem Hang zur Pädophilie auseinandersetzt.

Ewald ist zerrissen von dieser Innenkampf, ändert plötzlich sein Leben, verlässt seine Verlobte und zieht ins Landesinnere, wo er in einem kleinen Dorf eine Judoschule (die tatsächlich „Sparta“ heißt) eröffnet, damit er immer in Kontakt mit Kindern sein kann. Einfach im Kontakt, aber ohne seiner Natur freien Lauf zu lassen. Und in der Tat sehen die Kinder in ihm eine Art älterer Bruder, sie sind glücklich in seiner Schule, wo sie sich endlich frei fühlen und spielen können. Niemand ahnt, was in Ewalds Kopf passiert, der auch eine starke Moral zeigt und oft ein von seinem Stiefvater missbrauchtes Kind verteidigt.

Und genau diese starke Innenkampf ist der eigentliche Kern von Sparta. Ewald lacht, wenn er mit den Kindern spielt. Langsam aber sicher verwandelt sich sein Lachen in Weinen. Ein Schrei, den niemand bemerkt, der nur im Auto oder im Altersheim, wo sein Vater ist, zum Ausdruck kommt. Subtile Details, die mehr sagen als tausend Worte. Ulrich Seidl (und der exzellente Georg Friedrich) geben all dies perfekt wieder und zeigen uns, dass der Protagonist in Wirklichkeit ein äußerst verwundbarer und fürsorglicher Mensch ist. Das einzige wirkliche Opfer seiner eigenen Schwächen.

Wenn man also beide Filme – Rimini und Sparta – betrachtet, stellt man fest, dass der eigentliche Protagonist beider Werke Ekkehardt, Richies und Ewalds Vater, ist (gespielt von Hans-Michael Rehberg, dem beide Filme gewidmet sind, hier in seinem letzten Kinoauftritt vor seinem Tod 2017). Ekkehardt ist jetzt älter und an Demenz erkrankt. In einem Pflegeheim untergebracht, scheint er sich nur gelegentlich an einige wenige Elemente seiner Vergangenheit zu erinnern. Dazu gehört auch seine Mitgliedschaft in der Nationalsozialistischen Partei. Wie hat er das Leben seiner Kinder beeinflusst? Das sagt Ulrich Seidl nie explizit, sondern bietet dem Zuschauer im Gegenteil alle Anhaltspunkte für seine eigene Interpretation der Dinge.

Dass Ekkehardts Vergangenheit Richie und Ewalds Kindheit nicht leicht gemacht hat, kann man sich allerdings gut vorstellen. Und in der Tat sind die Momente, in denen wir den Mann im erwähnten Altersheim sehen, recht häufig und wechseln sich ständig mit Szenen ab, die mal Richie (in Rimini), mal Ewald (in Sparta) betreffen. „Jedem das Seine“. Und jeder der beiden Brüder scheint zu einer Existenz ohne Hoffnung auf Erlösung verdammt zu sein. Oder vielleicht nicht?

Pessimismus oder Realismus? Rimini und Sparta unterscheiden sich stark in Bezug auf Orte und Themen (ein winterliches Rimini und das traurige Schicksal eines einst berühmten Sängers, neben einem kleinen, armen Dorf in Rumänien und gefährlichen, verbotenen Begierden), aber im Grunde zeigen sie uns dasselbe: Zwei Männer, zwei Brüder, die eine schwierige Vergangenheit teilen und die allein gegen die Folgen dessen ankämpfen, was sie erlebt haben, und die in der Tat gleichzeitig Opfer und Täter sind. Zwei Anti-Helden, die von Ulrich Seidl nie verurteilt, sondern mit Mitleid und Empathie beobachtet werden. Etwas, das natürlich nur ein erfahrener und aufmerksamer Blick zu tun vermag.


Titel: Sparta
Regie: Ulrich Seidl
Land/Jahr: Österreich, Deutschland, Frankreich / 2022
Laufzeit: 101’
Genre: Drama
Cast: Georg Friedrich, Florentina Elena Pop, Hans-Michael Rehberg, Marius Ignat, Octavian-Nicolae Cocis
Buch: Ulrich Seidl, Veronika Franz
Kamera: Wolfgang Thaler, Serafin Spitzer
Produktion: Ulrich Seidl Filmproduktion, Essential Films, Parisienne de Production, Arte France Cinéma

Info: Die Seite von Sparta auf der Webseite der Viennale; Die Seite von Sparta auf iMDb; Die Seite von Sparta auf der Webseite der Ulrich Seidl Filmproduktion
Sparta (2022) von Ulrich Seidl - Kritik | Cinema Austriaco (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Duane Harber

Last Updated:

Views: 5686

Rating: 4 / 5 (71 voted)

Reviews: 94% of readers found this page helpful

Author information

Name: Duane Harber

Birthday: 1999-10-17

Address: Apt. 404 9899 Magnolia Roads, Port Royceville, ID 78186

Phone: +186911129794335

Job: Human Hospitality Planner

Hobby: Listening to music, Orienteering, Knapping, Dance, Mountain biking, Fishing, Pottery

Introduction: My name is Duane Harber, I am a modern, clever, handsome, fair, agreeable, inexpensive, beautiful person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.